Türöffner

19.01.2023

Beitrag aus dem Zwölf-Magazin: Heft 94

 

 

Fast hätte die dieci Challenge League eine absurde Saison erlebt. Viele der Aufstiegskandidaten erfüllten nämlich die Anforderungen für die Super League nicht. Rettung kam in letzter Sekunde: Dank einer kleinen Revolution sind nun alle Klubs im Oberhaus willkommen.

 

Die eine Revolution ging im Zuge der anderen ziemlich unter. An der Generalversammlung der Swiss Football League (SFL) schossen die Klubvertreter nämlich nicht nur den ein halbes Jahr zuvor beschlossenen Modus mit Playoffs in der Super League ab, sie fällten noch einen weiteren Entscheid, der für den Schweizer Fussball weitreichende Folgen hat. Für die dieci Challenge League ganz besonders.

 

Das Grundprinzip, dass am Ende der Saison die Teams mit den meisten Punkten aufsteigen sollen, drohte hierzulande ausser Kraft gesetzt zu werden. Grund dafür war das Dokument «SFL-Stadionkatalog der Kategorie A», das die Anforderungen an Spielstätten für Super-League-Partien festlegt. Dort hiess es unter Punkt 3.1: «Das Gesamt-Fassungsvermögen beträgt mindestens 8’000 Sitzplätze. Stehplätze können bei Bedarf ausschliesslich auf den Stirntribünen angeboten werden, dabei darf die Mindestzahl von 6’500 Sitzplätzen auf der Haupt- und Gegentribüne nicht unterschritten werden.» Allein dadurch muss sich die Hälfte der dieci Challenge-League-Klubs schon von vornherein aus dem Aufstiegsrennen verabschieden. Die Stadien von Yverdon über Bellinzona bis Wil können diese Auflagen nicht annähernd erfüllen.

 

«Das Thema gewann spätestens mit den Diskussionen um die Aufstockung der Super League an Aktualität», räumt denn auch SFL-Sprecher Philippe Guggisberg ein. «Dabei wurde in erster Linie die erforderliche Minimalkapazität kontrovers diskutiert. Es waren wiederholt Ausnahmebewilligungen für Aufsteiger – zuletzt für den FC Winterthur – nötig, und selbst diese mussten mehrmals angepasst werden, weil sich manche Stadionprojekte länger hinziehen als erwartet.» Darum sei das SFL-Komitee zum Schluss gekommen, den Stadionkatalog in eine Arbeitsgruppe zu geben und einen Vorschlag für Änderungen auszuarbeiten.

 

Doch diese Zeit blieb nicht. Ende dieser Saison steigen zwei Klubs in die Super League auf, einer darf in die Barrage. Die Meisterschaft kann zur Farce verkommen, wenn im Mai der Siebt- und der Neuntklassierte den Fahrstuhl nach oben nehmen, weil auf den vorderen Rängen keiner die Auflagen erfüllen kann. Deshalb wurden der FC Winterthur, der FC Wil und der FC Vaduz aktiv. Sie reichten gemeinsam einen Antrag ein: 5’000 Plätze sollen reichen, nur ein Fünftel davon Sitzplätze, zudem sollen Aufsteiger ein Jahr Zeit bekommen, um diesen Anforderungen zu entsprechen.

Das Salz in der Suppe

 

Für Wil-Präsident Maurice Weber ein überfälliger Schritt. «Mit den bisherigen Reglementen war man weit von den Realitäten entfernt. So viele Sitzplätze, wie gefordert waren, bekommen selbst in der Super League nur die wenigsten Klubs voll», sagt er. Dass die Auflagen tatsächlich etwas überrissen scheinen, zeigt das Beispiel Vaduz: Im Rheinpark darf der FCV im Europacup zwar Eintracht Frankfurt empfangen, für die Super League reicht es gemäss SFL indes nicht. Nicht wenige sahen in diesen Anforderungen eine künstliche Hürde, um nur die finanzkräftigsten Klubs im Oberhaus zu versammeln. Spätestens mit der beschlossenen Aufstockung auf zwölf Teams wurde aber klar, dass sich mit dieser Hürde kaum mehr genügend Aufstiegskandidaten finden lassen.

 

Maurice Weber führt an, dass sich Challenge-Ligisten ein so grosses Stadion kaum leisten können, und wenn, dann höchstens mit Investoren. «Dabei sollte die oberste Liga auch hierzulande nicht nur der Elite offenstehen. Kleinere Klubs, die ihre Eigenheiten behalten, machen schliesslich das Salz in der Fussballsuppe aus, man denke nur mal an Union, St. Pauli oder Freiburg in Deutschland.»

 

Mancherorts – etwa in Schaffhausen, Biel oder Thun – wurden in den letzten Jahren Arenen gemäss den hohen Anforderungen gebaut. Platz dafür fand sich allerdings nur fernab vom Stadtzentrum, was dem Zuschaueraufkommen nicht eben förderlich ist. Heute spielen diese Mannschaften vor mehrheitlich leeren Rängen, ihre Stadien sind schlicht zu gross. «Es ist doch für alle besser, in kleineren, aber gut ausgelasteten Stadien zu spielen», so Weber. Es sei ja auch nicht so, dass nach einer Lockerung der Auflagen alle nur noch den Minimalstandard erfüllen würden. Er verweist auf den FC Winterthur, für den die Zuschauereinnahmen ein besonders wichtiger Faktor sind, weshalb er von sich aus für mehr Plätze sorgt.

 

Ganz uneigennützig war der Antrag für Maurice Weber indes nicht, immerhin grüsst sein FC Wil derzeit von der Tabellenspitze. Das Bergholz – heute: Lidl-Arena – ist eines der wenigen kleineren Stadien neueren Datums, die nicht ausbaubar geplant wurden. Ein Ausweichen in den Kybunpark – so ergaben Abklärungen – wäre im Falle eines Aufstiegs nicht möglich. Wegen mangelnden Sicherheitspersonals bewilligt die Stadt St. Gallen neben FCSG-Partien keine weiteren Matches.

Lange zögerten die Klubs damit, die Anforderungen herabzusetzen. Etliche Vereine hatten ihr neues Stadion nach den bestehenden Vorgaben gebaut und dafür hohe Kosten in Kauf genommen. Würden die Kriterien nun plötzlich aufgeweicht, wären diese Klubs die Gelackmeierten, so die Befürchtung. Doch nun zeigten die Delegierten an der SFL-Generalversammlung keine Missgunst: Mit 19:1 Stimmen wurde der Antrag gutgeheissen. Dagegen stimmte einzig Xamax. Damit kann der FC Wil weiter um den Aufstieg mitspielen.

 

Die auf die kommende Saison geltenden Änderungen betreffen einzig die Kapazitäten. Weder in Sachen Sicherheit noch bei der Flutlichtstärke gibt es Erleichterungen. Weiterhin muss neben der Haupt- auch ein Grossteil der Gegentribüne überdacht sein, was etwa im
Brügglifeld kaum zu bewerkstelligen ist, weil dort bei jedem Bauvorhaben Einsprachen der Anwohnerschaft drohen. Aufsteigen können dank dem neuen Übergangsjahr aber erst mal alle. Und ein Grossteil der Klubs kann nun mit baulichen Massnahmen gar die Voraussetzungen für einen längerfristigen Aufenthalt im Oberhaus erfüllen.

 

Die kleine Revolution hat dem Aufstiegsrennen in der dieci Challenge League den sportlichen Wert zurückgebracht. Sie ermöglicht es Klubs wie Wil, Bellinzona oder Yverdon, gross zu träumen. Sie erlaubt eine Liga, in der sich Vereine mit grossen, modernen Arenen und solche mit kleinen, improvisierten Stadien mischen. Und nicht zuletzt verhindert sie, dass ambitionierte Klubs überdimensionierte Bauten hinklotzen, die sie bei Misserfolg nahe an den Ruin bringen.