Märchen dank Herzblut
Völlig unverhofft ist der FC Baden in die dieci Challenge League aufgestiegen. Das Abenteuer meistert er mit viel Herzblut, die Spieler pendeln zwischen Büro und Rasen.
Im Frühling 2006 freut sich die Schweiz auf die bevorstehende Weltmeisterschaft in Deutschland. Baschis Hit «Bring en hei» wird im Radio rauf und runter gespielt, landesweit stimmen Fussballfans mit ein. Nur wenige schneiden das Drama mit, das sich im Mai im Leichtathletikstadion St. Jakob in Basel abspielt: Am letzten Spieltag der Challenge League verliert der FC Baden beim FC Concordia 1:3 – und steigt in die 1. Liga ab. Ein schwerer Schlag für den stolzen Aargauer Verein, der zum Inventar der Nationalliga gehört und sogar eine Saison im Oberhaus verbracht hat.
Zum Zeitpunkt dieses Abstiegs hiess der US-Präsident George W. Bush, das iPhone war noch nicht auf dem Markt und MySpace die mit Abstand beliebteste Social-Media-Plattform. Eine halbe Ewigkeit ist also vergangen, bis dem FC Baden letzten Sommer die unerwartete Rückkehr in die dieci Challenge League gelang. Die Aargauer waren eben erst in die Promotion League aufgestiegen und schafften sensationell den direkten Durchmarsch in die zweithöchste Liga. In aller Eile wurde das Flutlicht im Stadion Esp hergerichtet, damit es den Vorgaben entsprach. Sonst aber blieb beim bescheidenen Aufsteiger alles beim Alten – und das macht ihn zum Exoten in dieser Liga.
Immobilienmakler und Hochbauzeichner im Sturm
Während bei der Konkurrenz Profibetrieb herrscht, ist der FC Baden ein Verein geblieben, der auf viel Freiwilligenarbeit und Herzblut seiner Mitglieder angewiesen ist. Und selbst die Spieler arbeiten nebenbei. Captain Patrick Muff etwa ist Qualitätsmanager beim Casino Baden und muss für die Freitagspartien eine Freistellung beantragen. Stürmer Marin Wiskemann – der vor drei Jahren Schlagzeilen machte, als er in der Zürcher Flussbadi Letten ein führerlos herumbrausendes Motorboot nach einem Sprung vom Ufer bändigte –, konnte sein Pensum als Hochbauzeichner auf 50 Prozent reduzieren. Immer noch Vollzeit arbeitet hingegen sein Sturmpartner Davide Giampà. Wochentags ist der 30-Jährige Immobilienmakler, am Wochenende geht er für den FC Baden auf Torjagd.
Damals beim waghalsigen Sprung aufs Motorboot, heute im Luftduell gegen den FC Aarau: Marin Wiskemann.
Giampà steht sinnbildlich für den wundersamen Weg des FC Baden. Bis vor wenigen Jahren war er noch Innenverteidiger und rückte seither auf dem Feld immer weiter nach vorne. Nun ist er plötzlich bester Torschütze der ganzen dieci Challenge League! Bloss das Jubeln muss er noch etwas üben: Als er kürzlich in Vaduz zum siegbringenden 2:1 traf, wollte er auf der Werbebande vor den eigenen Fans feiern – und stürzte dabei bös. Passiert ist ihm zum Glück nichts.
Weil die Spieler von Trainer Michael Winsauer tagsüber ihrem Beruf nachgehen, wird in Baden nur abends trainiert, vier Mal die Woche. Umso erstaunlicher deshalb, dass der FC Baden nach über einem Drittel der Saison von Platz 5 grüsste. «Wir machen momentan viel aus unseren Möglichkeiten, deshalb bin ich froh, wenn es dafür Beachtung gibt und hoffe, dass uns das auch sportlich einen Aufschwung verleiht», sagt Davide Giampà. Das Ziel heisst weiterhin Klassenerhalt. Präsident Heinz Gassmann hat durchblicken lassen, bei erfolgreicher Mission alles daran zu setzen, auf Profibetrieb umstellen zu können. Solche märchenhaften Geschichten wie jene von Davide Giampà helfen dabei, dafür die nötige Unterstützung zu finden.
Einfach nicht zu stoppen: Badens Topskorer Davide Giampà
Dieses Mal hat es der FC Baden sportlich selbst in der Hand. Nicht so wie 1917, als der Klub aus der Serie A, der damals höchsten Liga des Landes, abstieg: Während des Ersten Weltkriegs wurde im ganzen Land nach Anbauflächen gesucht, um die Bevölkerung ernähren zu können. Dafür ideal war dummerweise auch das Stadion des FC Baden. Statt geflankt und gegrätscht wurde dort deshalb gesät und geerntet, der Klub musste sich mangels Spielfeld von der Meisterschaft zurückziehen. Für Jahrzehnte verschwand er in den Niederungen des Amateurfussballs, ehe er wundersam wieder auferstand. Das Märchen von damals findet jetzt seine Fortsetzung.
Übrigens: Obwohl im Stadion Esp heute kein Weizen und keine Kartoffeln mehr wachsen, kann man sich in Baden bestens verköstigen. Seit 2010 beliefert die dortige dieci-Filiale die Region mit knusprigen Pizzas.