Eine Ewigkeit Rheinpark

27.07.2022

Beitrag aus dem Zwölf-Magazin: Heft 91

 

 

Der Vaduzer Robin Ospelt war so oft im heimischen Rheinpark-Stadion, dass er die Traumkulisse gar nicht mehr wahrnimmt. Dafür mangelt es nicht an Erinnerungen – vom Megafon über Schmuddelhefte bis zu Spielerhochzeiten.

 

Mindestens 300 Spiele hat Robin Ospelt schon im Vaduzer Rheinpark gesehen. Wie viele es genau sind, kann er heute nicht mehr sagen. Er hat versucht, eine komplette Liste zu erstellen, doch einige Matches des FC Vaduz sind so lange her, dass er selber nicht mehr weiss, ob er zugegen war oder nicht. Wobei Letzteres selten vorkam. Über 300 Spiele hat er besucht, das entspricht 17 kompletten Saisons. Oder fast 50 Tagen Dauerfussballschauen.

 

«Ich bin mit diesem Stadion und dem FC Vaduz aufgewachsen», sagt der 33-jährige Ospelt. Sein Grossvater stand im Kader, als der Klub erstmals in die 1. Liga aufstieg. Der Vater spielte für die zweite Mannschaft, er selber durchläuft alle Juniorenstufen im Verein. Bei der Stadioneröffnung 1998 begleitet er die Gastmannschaft, den amtierenden deutschen Meister 1. FC Kaiserslautern, auf den Rasen, kurz darauf läuft er an der Hand von Italiens Stürmerstar Pippo Inzaghi ein, als die AC Milan zu Besuch ist. Bis ins Fanionteam reicht es ihm aber nicht, er spielt in der dritten Mannschaft, bis diese zwischenzeitlich wegen Spielermangels aufgelöst wird.

 

Da hat er längst eine neue Funktion übernommen. 2006 bekommt der Rheinpark endlich eine Stehtribüne hinter dem Tor: die Nordkurve. Als der FCV kurz darauf in die Super League stürmt, hat sich bereits eine kleine Fanszene etabliert. Mit Freunden tritt Ospelt einer Gruppierung bei, der «Sektion Nord». Und als später der Capo mit einem Stadionverbot belegt wird, springt Ospelt ein und gibt fortan mit dem Megafon in der Hand den Rhythmus vor und stimmt die Lieder an. «Ich habe mich aber immer wieder umgedreht, um das Spiel zu schauen», sagt er.

 

Die neuartige Fan-Kultur trifft in Liechtenstein auf harten Boden. «Hier werden Ultras noch immer mit Hooligans gleichgesetzt», bedauert Ospelt. Die Anonymität anderer Kurven kennt man in Vaduz nicht. Vom Tribünenpublikum bis zum Polizisten weiss jeder, wer diese wilden Kerle sind, die bei Heimspielen grölend herumhüpfen. Das alleine gilt schon als suspekt, wenn aber Pyros gezündet werden – was selten geschieht – hagelt es umgehend Stadionverbote.

 

Ohnehin muss man im Ländle einige Kompromisse eingehen bei den Ultra-Grundsätzen. «Eigentlich sollte man den gegnerischen Fans feindlich gegenüberstehen. Aber wenn man zahlenmässig derart unterlegen ist, macht das ja keinen Sinn», meint Ospelt. Dreissig richtig aktive Fans habe es zu seiner Zeit gegeben, dazu ein paar Dutzend, die unregelmässig dabei waren. Auch bei der Unabhängigkeit, die anderen Kurven so wichtig ist, werden Abstriche gemacht. Manchmal stellt der Verein Konfettikanonen oder Choreomaterial bereit, im Gegenzug helfen die Fans bei der Gestaltung eines Schals oder verzichten auch mal auf die typischen schwarzen Shirts und tragen die Klubfarbe Rot.

Groundhopper-Mekka

 

Eingebettet zwischen dicht bewaldeten Bergen bietet der Rheinpark eine fantastische Kulisse. Robin Ospelt nimmt diese nach so vielen Besuchen gar nicht mehr richtig war. Regelmässig sind sogenannte Groundhopper vor Ort anzutreffen, die möglichst viele Stadien besuchen wollen  – der Länderpunkt Liechtenstein ist ein Muss –, und die seien oft begeistert, auch von den Flutlichtmasten, wie sie nur noch solche «Old Grounds» haben.

 

Ospelt hat hier 1.-Liga-Kicks gegen Bülach oder Mendrisio gesehen, aber auch die grosse Fussballwelt erlebt. Weil der FC Vaduz über den liechtensteinischen Cup einen Europacup-Platz praktisch auf sicher hat – immerhin hat er ihn schon 48 Mal gewonnen –, kommen auch mal grössere Nummern zu Besuch, zuletzt 2019 Eintracht Frankfurt. Da stand Robin bereits nicht mehr in der Kurve, sondern am Spielfeldrand und sah, wie sein Team beim 0:5 zerzaust wurde. Dabei trug er das Outfit, dass er auch heute an Vaduz-Spielen trägt: die Feuerwehr-Uniform. Seit vielen Jahren engagiert er sich neben seinem Job im Sicherheitsbereich bei der Feuerwehr, auch im Rheinpark kümmert er sich nun für den Brandschutz. «Einen Einsatz brauchte es bislang noch nicht», sagt er. Bei Pyros müssen nämlich nicht die Fachleute ran, das erledigen die Securitas.

 

Erstmals seit Ewigkeiten hat Ospelt letztes Jahr keine Saisonkarte gekauft. Er arbeitet im Schichtbetrieb, was Matchbesuche schwieriger macht. Wenn er die lange Liste seiner Vaduz-Partien durchschaut, wird er schon etwas wehmütig, weckt doch fast jede davon Erinnerungen. Die Duelle mit St.Gallen, wenn im Rheinpark mal richtig etwas los war, die Aufstiegsfeier im Stadion nach dem Sieg in Chiasso, die Auswärtsreisen nach Dänemark und Wales, das Skandälchen in Basel, wo ein Vaduzer Scherzkeks ein Poster aus einem Schmuddelheftchen im Gästesektor aufgehängt hatte, was via SRF-Kameras nachmittags in die Stuben übertragen wurde. «Es waren weniger die Spiele, es waren die Fussball-Erlebnisse im Kollegenkreis mit dem ganzen Drumherum, die mir viel gaben», sagt Ospelt.

 

Überraschen mag das nicht, ist doch eine weitere Eigenheit des FCV, dass es für ihn wegen seines speziellen Status als ausländischer Klubs in vielen Spielen um nichts geht. Anderswo zieht das Meisterrennen in den Bann, von St. Gallen bis Genf hofft man bis zuletzt auf einen Europacup-Platz und erlebt packende Cup-Fights. Der FCV hingegen kann nur dank einer Ausnahmebewilligung in der Schweizer Liga mittun, er darf aber weder Meister werden noch einen Schweizer Europacupplatz ergattern. Das höchste der Gefühle ist somit der Aufstieg in die Super League. Auch deshalb geht Ospelt manchmal fremd. «Ich bin Vereinsmitglied von Borussia Dortmund und besuche regelmässig Spiele. Dort hole ich mir diesen Kick: Volles Stadion, Stimmung und Partien, in denen es um viel geht.»

 

Es gab eine Zeit, da war er frohen Mutes, dass auch in Vaduz die Fanszene aufblühen könnte. Immerhin konnte das Team in der Super League mithalten, in der Kurve waren plötzlich neue Gesichter anzutreffen. Doch die meisten blieben nicht lange dabei. «Bei uns exponiert man sich in der Nordkurve ziemlich. Viele waren die ständigen Kommentare und Anfeindungen schnell leid», erklärt Ospelt. Etwas Frust darüber, dass die Kurve trotz aller Bemühung nicht gross gewachsen ist, schwingt in seinen Erzählungen mit. Doch die kleine Grösse hat auch seine Vorteile: Der familiäre Rahmen sorgt dafür, dass man viel näher an den Spielern ist. Ospelts erster Held war Moreno Merenda, einst ein Torgarant im Sturm. Er erzählt vom Ivorer Steve Gohouri, den man noch spätnachts in Bars antreffen konnte, aber Stunden später einen Wahnsinnsmatch abliefern konnte, nur um danach direkt bei McDonald’s einzukehren. Und ganz besonders schwärmt er von Goalie Oliver Klaus, der zu den Fans ein derart gutes Verhältnis pflegte, dass er sie gar zu seiner Hochzeit einlud.

 

Robin Ospelt – übrigens nicht verwandt mit Ex-FCV-Präsidentin Ruth – hat für die Zukunft aber auch Wünsche für seinen Verein. Wieder etwas mehr Liechtensteiner dürfte es haben im Team. Und wieder einmal Super League, das wär schon was. Aber so wichtig ist das nicht. Der Verein wird immer zu seinem Leben gehören. Eine Ewigkeit Rheinpark.

Robin Ospelt mit RTL-Moderatorin Laura Wontorra im Rahmen des Europacup-Spiels gegen Eintracht Frankfurt.